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Lauterbach, Özdemir, Paus: Fürchten sich alle Bundesminister vor diesem sozialen Sprengstoff?

Aktuell richtet sich keine einzige Maßnahme der Bundesministerien gezielt nur an diejenigen Kinder, die am stärksten von Fettleibigkeit betroffen sind – und die daher staatliche Hilfe besonders dringend brauchen. Es erinnert ein wenig an die drei symbolischen (!) Affen, die nichts sehen, sagen und hören (wollen). Uwe Knop, evidenzfokussierter Ernährungswissenschaftler, analysiert die Sachlage ohne ideologisch-moralische Scheuklappen – und er hat bei den verantwortlichen Ministerien nachgefragt. Deren Antworten überraschen.

Welche Kinder sind besonders von Fettleibigkeit betroffen? 

Eine neue Studie der Uni Ulm hat jüngst bestätigt: Kinder sind häufiger übergewichtig, wenn sie in einer Familie mit geringem Haushaltseinkommen oder Migrationshintergrund aufwachsen oder ein Elternteil selbst Übergewicht hat. Wesentlich relevanter scheint jedoch der Bildungsstatus der Eltern zu sein, denn: Gesundheitsbezogene Risiken treten besonders in Familien mit niedrigem Bildungsniveau auf, und das schon bei Kindern im Alter von drei bis fünf Jahren. Eine konkrete Korrelation sieht wie folgt aus: Kinder von Eltern ohne Hochschulabschluss waren doppelt so oft übergewichtig wie diejenigen von Akademikerinnen und Akademikern. Diese Korrelate zum „ungerechten Übergewicht“ sind nicht neu und wurden bereits in zahlreichen vorherigen Studien immer wieder beobachtet.

Welche Daten waren das vorher, gibt es eindrucksvolle Bestätigungen? 

Der Zusammenhang zwischen Übergewicht und besonders Adipositas (Fettleibigkeit) und sozioökonomischem Status (SES = Bildung, Beruf, Einkommen) im Kindes- und Jugendalter ist international seit Langem bekannt. Die Daten zeigen eindeutig und eindrucksvoll, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen gleich häufig betroffen sind, denn: Je niedriger der SES, umso höher ist die Adipositasrate. So hat beispielsweise bereits 2017 die KiGGS Welle 2 des RKI (Robert Koch-Institut) gezeigt  Bei Bevölkerungsgruppen mit niedrigem SES waren 9,9 % aller 3- bis 17-Jährigen Kinder und Jugendlichen von Adipositas betroffen, in Familien mit hohem SES hingegen nur 2,3 %. Das sind fast 5-mal so viele fettleibige Kinder! Und der DAK-Kinder- und Jugendreport bestätigte nur ein Jahr später: Kinder von Eltern ohne Ausbildungsabschluss sind bis zu 3,5-mal häufiger von Fettleibigkeit betroffen als Kinder von Akademikern. Laut DAK-Report haben 5,2 % der Kinder bildungsarmer Eltern krankhaftes Übergewicht –- bei Akademikerkindern sind es nur 1,5 %. 

Welche Konsequenzen sollte und muss das haben? 

Ganz einfach: Voller Fokus aller politischen Maßnahmen aus den verantwortlichen Bundesministerien für Ernährung (BMEL), Gesundheit (BMG) und Familien (BMFSFJ) auf diese besonderes betroffenen Zielgruppen – ganz gezielt, denn gerade sie brauchen staatliche Unterstützung besonders dringend. Aber: Die Realität sieht anders aus – leider. Es überrascht sehr, was man hier auf Nachfrage erfahren muss. 

Sie haben alle drei Ministerien angefragt – welche Antworten gab es? 

Cem Özdemirs BMEL hat derzeit keine konkreten Maßnahmen im Portfolio, die sich gezielt an besonders betroffene Zielgruppen richten, die ein sehr hohes Risiko für juvenile Adipositas haben: Kinder mit Migrationshintergrund aus einkommensschwachen Familien, deren Eltern selbst dick und schlecht gebildet sind – weil das BMEL eigenen Angaben zufolge einen „breiteren, ganzheitlichen Ansatz“ verfolgt. Auch das BMFSFJ von Ministerin Lisa Paus kann mit konkreten Maßnahmen „leider nicht weiterhelfen“. Interessant: Beide Ministerien verweisen unisono auf Karl Lauterbachs BMG. Doch, welch´ Überraschung: Auch das BMG konnte keine konkrete Maßnahme benennen, die sich gezielt/ausschließlich an Kinder aus Familien mit geringem Haushaltseinkommen, Migrationshintergrund und niedrigem Bildungsstatus der (dicken) Eltern richtet. Das gerne vorgeschobene verschleiernde Geschwurbel von „gesamtgesellschaftlicher Aufgabe, die alle Zielgruppen adressiert“ ist nicht mehr als eine fette politische Nebelkerze, um von den wahren Problemen abzulenken. Denn: An die traut sich keiner ran – zumindest will kein Politiker der erste sein, der sich hier öffentlich klar positioniert und die primär Betroffenen unmissverständlich beim Namen nennt. Da drängt sich die mehr als berechtigte Frage auf … 

Wenn alle Ministerien unisono eine „gerechte Ernährung und gesundes Essen für alle“ propagieren, warum kümmert sich niemand ganz gezielt um die besonders betroffenen dicken Kinder? 

Wahrscheinlich, weil Lauterbach, Özdemir und Paus „Furcht vorm Shitstorm“ haben, wenn sie klar und deutlich öffentlich konstatieren würden: „Wir brauchen gezielte Maßnahmen, um besonders die adipösen Migrantenkinder, deren Eltern mit wenig Einkommen selbst übergewichtig und weniger gut gebildet sind, vor Fettleibigkeit zu schützen.“ Das ist reiner sozialer Sprengstoff, vor dem sich die Minister fürchten. Denn: Da wäre der massive Angriff des moralinsauren Zeitgeists garantiert. Darauf haben Politiker aber keinen Bock. Deshalb verstecken sie sich gerne hinter „Allgemeinplätzen“ und versuchen sich im Lichte der Öffentlichkeit mit vermeintlich wichtigen Projekten wie sinn- und evidenzfreien „Werbeverboten für ungesunde Kinderlebensmittel“ zu profilieren, Das hilft den betroffenen Kindern und Familien jedoch in keiner Weise.

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Dieser Beitrag erschien zuerst auf FOCUS online-Experte