Schulverpflegung ist das Herz der Schule
Ansprache von Michael Thun, dem Leiter der Vernetzungsstelle, zur Eröffnung des 1. Tages Schulverpflegung in Bremen, 22.09.2010:
Die Bestimmung des Menschen beschreibt Wilhelm v. Humboldt zur Zeit des Idealismus als „die proportionierliche Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen“. Was heißt das für uns heute? In der Realität der pädagogischen Organisationen finden wir diese Denk-Figur systemisch reformuliert wieder. Hier auf dem 1. Bremer Tag der Schulverpflegung interessiert uns die Forderung, dass zu einer entsprechend proportionierlich entwickelten Bildungseinrichtung des Ganztags auch eine gute Verpflegungseinrichtung gehört. Diese Forderung ist im Regelschulwesen der Bundesrepublik durchaus neu – selbst in den Schriften zu den Schulversuchen der 80er Jahre wurde zwar über Schule als „Lebensort“ nachgedacht – das Essen in der Schule spielte allerdings keine professionell reflektierte Rolle. Die Vorstellung, eine gute Schule in Verbindung mit der Qualität des Verpflegungsbereichs zu bringen, gewinnt durch den gewaltigen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel der letzten Jahre eine Relevanz, die man sich vor 25 Jahren (zumindest in Westdeutschland) so nicht vorgestellt hat. Die Familienstrukturen und -rhythmen verändern sich, die Schule verändert sich mit ihnen, die Kinder sind länger außer Haus, lernen am Nachmittag in ihrer Schule und müssen – natürlich – mittags etwas essen, dass sie nicht belastet, sondern ihnen das Lernen einfacher macht. Zusätzlich sind wir in manchen urbanen Gegenden mit deutlich wahrnehmbaren Grundversorgungsproblemen von Kindern und Jugendlichen konfrontiert. Auf der anderen Seite: Dort, wo es gut gelingt, berichten manche Standorte davon, dass ihr Verpflegungsbereich, ihre Mensa mit ihrem besonderen Personal sich zu so etwas wie „dem Herz der Schule“ entwickelt hat. Mit den vom BMELV und BMG in zweiter Auflage 2009 herausgegebenen „Qualitätsstandards der Schulverpflegung“ wird die fachlich fundierte Beschreibung und Forderung nach einer guten Essensversorgung der Schülerinnen und Schüler (nun politisch gewollt) flächendeckend verbreitet.
Bei der Umsetzung treten allerdings die uns allen bekannten Schwierigkeiten auf: Kinder essen nicht, was sie sollen, pädagogisches Personal braucht neue Konzepte für die Mittagszeit (die ja keine Unterrichtszeit ist), das Land bzw. der Träger braucht neue Finanzierungsregeln und die Verpflegungsdienstleister haben auf einmal mit einer Kundschaft zu tun, die (bei optisch niedrigen Abgabepreisen) anspruchsvolle Bedürfnisse äußert und auf Qualitätsstandards verweist, die es in der Berufsausbildung der Küchenkräfte noch gar nicht gegeben hat.
Gute Schulverpflegung für Alle gerecht und finanzierbar zu realisieren entpuppt sich – übrigens wie auch Bildung für Alle –als ziemlich komplexe Aufgabe. Ihre Lösung muss gleich mehreren Bedingungen gehorchen: Das Essen soll an sich gut sein, es muss von den SchülerInnen und LehrerInnen akzeptiert und angewählt werden, es muss so kalkuliert sein, dass echte Win-Win-Situationen entstehen (also niemand übervorteilt wird) und letztlich müssen die Leute, die in diesem Bereich arbeiten, ihre Arbeit über einen längeren Zeitraum gerne machen, insbesondere gerne mit Kindern arbeiten. Essensqualität, Akzeptanz, Finanzierbarkeit und Zufriedenheit bei den MitarbeiterInnen sind vier voneinander unabhängige Dimensionen, die in ein Verhältnis gebracht werden müssen und zwar bei Akteuren, die nicht immer direkt miteinander kommunizieren. Denken Sie nur an das (real vorgekommene) Beispiel, in dem die Tochter aus der Schule nach Hause kommt, die Mutter sie fragt, wie`s war und die Schülerin sagt, dass es für sie nichts zu essen gab, woraufhin die Mutter postwendend den Bildungs-Staatsrat anruft … wenn es im Fach Mathematik nichts gegeben hätte, was der Tochter zusagt, wäre es vermutlich nicht zu einem solchen Anruf gekommen.
In diesem Feld übersetzen und vermitteln wir. Das Ermutigende ist, dass wir im Grunde ziemlich genau wissen, wie vernünftige Ernährung für Kinder und Jugendliche auszusehen hat. Wir wissen auch, wie man sie so präsentiert, dass die Gäste sie wirklich haben möchten und wir wissen weiterhin, wie man in diesem Feld so wirtschaftet, dass man nicht pleite geht – wir wissen das vom professionellen Hotelfach. Aber dieses Know-How ist noch nicht vollständig in das besondere Feld der Pädagogik übersetzt worden. Hier sind wir behilflich, sammeln und sortieren die Informationen, die in den Arbeitsgruppen der Vernetzungsstellen bundesweit erarbeitet werden und machen sie hier in Bremen direkt der Bildungsbehörde, dem Kultusministerium des Landes Bremen, zugänglich. Darüber hinaus stellen wir sie allen anderen interessierten Akteuren zur Verfügung. Wir konzipieren in Kooperation mit einschlägigen Einrichtungen Fort- und Weiterbildungen für Köche genauso wie für Schulleiter, Lehrer, pädagogische Mitarbeiter oder Behördenmitarbeiter. Wir begleiten (wo gewünscht) Bauplanungen konzeptionell, sprechen mit Caterern über ihre Möglichkeiten, die Akzeptanz eines „gesunden“ Essensangebotes zu steigern oder vermitteln bei Schulveranstaltungen Wege zum Umgang mit Allergien bei Kindern. Last but not least wollen wir auf Veranstaltungen wie diesem 1. Bremer Tag der Schulverpflegung zu einer intensiven Vernetzung aller Beteiligten beitragen, um Umwege zu verkürzen und Ängste oder Kontaktschwierigkeiten zu verkleinern. In dieser programmatischen Dichte ist das hier im Land Bremen trotz der knappen Mittel räumlich wie strukturell deshalb möglich, weil es erfreulicherweise keine langen Wege gibt. Wir sehen die reelle Chance, im vorgesehenen Projektzeitraum alle Beteiligten persönlich kennen zu lernen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Wir freuen uns riesig über die großartige Resonanz mit etwa 300 Besuchern, knapp 40 Informationsständen und 6 Workshops und laden Sie herzlich ein, sich hier ausgiebig zu informieren und reichlich gute Kontakte zu knüpfen, die über den heutigen Tag hinausreichen mögen.
Michael Thun
Vernetzungsstelle Schulverpflegung Bremen
Violenstr. 45
D-28195 Bremen