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Berliner Senat will bei der öffentlichen Verpflegung Einfluss nehmen – ein Beispiel das Schulessen – Gespräch mit Senator Dirk Behrendt

Die Kantine Zukunft ist zentrales Element der Berliner Ernährungsstrategie, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt und von Dr. Dirk Behrendt wesentlich vorangetrieben wurde. Mehr dazu hat uns der Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung vom Bündnis 90/Die Grünen in einem exklusiven Interview berichtet:

Herr Dr. Behrendt, Berlin hat als erstes Bundesland eine kommunale Ernährungsstrategie verabschiedet, warum?

Im Kern geht es darum, das Ernährungssystem zukunftsfähiger, fairer, nachhaltiger und gesünder zu gestalten. Mit der Ernährungsstrategie hat sich Berlin auf den Weg gemacht, dieses Thema systematisch und ressortübergreifend anzugehen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Gemeinschaftsverpflegung, also auf den Betriebsrestaurants der Stadt. Es geht aber auch darum, Wertschöpfungsketten in der Region zu fördern. Wir setzen z. B. auf Brandenburg als Agrarland, wenn es darum geht, Berlin mit regionalen Produkten zu versorgen. Ein weiteres zentrales Thema liegt darin, Lebensmittelverschwendung zu verhindern. Wir fördern z. B. Projekte, die Lebensmittelverschwendung bekämpfen.

Im Rahmen der Ernährungsstrategie haben Sie die „Kantine Zukunft“ ins Leben gerufen – was verbirgt sich dahinter?

Die „Kantine Zukunft“ ist eines der zentralen Projekte der Berliner Ernährungsstrategie und hat bereits vor einem Jahr die Arbeit aufgenommen. Die Kantine Zukunft Berlin schult Köche in Großküchen, wieder mehr selbst zu kochen und dabei mehr regionale, biologische und saisonale Zutaten zu verwenden. Darüber hinaus berät sie die (Verpflegungs-)Verantwortlichen in Kindertagesstätten, gemeinnützigen Unternehmen und Betriebsrestaurants öffentlicher Einrichtungen. Zusammenarbeiten finden z. B. mit den Berliner Wasserbetrieben, der Berliner Stadtreinigung und den Berliner Verkehrsbetrieben statt. Über die Gemeinschaftsverpflegung können wir zwei zentrale Elemente miteinander verbinden: Wir erreichen, unabhängig vom Geldbeutel, eine große Zahl an Menschen. Und wir stärken massiv den Absatzmarkt für die bioregionale Landwirtschaft. Die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung fördert die „Kantine Zukunft“ in diesem Jahr mit rund 1,2 Mio. Euro. Für die folgenden Jahre sind vergleichbare Summen vorgesehen.

Mit dem Aufbau der „Kantine Zukunft“ wollen Sie die Gemeinschaftsverpflegung der Stadt verbessern. Inwieweit wollen und können Sie dabei in die Autonomie der Privatwirtschaft eingreifen?

Was die Privatautonomie angeht, gilt: Wir machen Angebote, die im Übrigen gerne und viel angenommen werden. Als Senat können wir insbesondere bei der öffentlichen Verpflegung Einfluss nehmen, ein Beispiel ist das Schulessen. Von 2021 an umfasst das kostenlose Schulessen für die ersten bis sechsten Klassen auch Früchte sowie Milch und Milchprodukte in Bio-Qualität. Der Bio-Anteil steigt dann von unter 15 Prozent auf über 50 Prozent.

Braucht es Überzeugungsarbeit, um einzelne Betriebe aus dem Bereich der Gemeinschaftsgastronomie oder Schulverpflegung mit ins Boot zu holen?

Bislang war keine Überzeugungsarbeit notwendig. Die Betriebe nehmen freiwillig daran teil und die Resonanz zeigt, dass das Interesse groß ist.

Wie sieht Ihre Bilanz in Sachen Nachhaltigkeit und Abfallvermeidung für die Stadt Berlin aus? Was haben Sie bereits erreichen können?

In Berlin hat die „Kantine Zukunft“ erfolgreich die Arbeit aufgenommen, der Bio-Anteil steigt an den Schulen auf über 50 Prozent ab 2021. Mit Blick auf die Abfallvermeidung leisten von der Senatsverwaltung geförderte Projekte wie „Restlos Glücklich“ oder die Fairteiler-Stationen eine wichtige Arbeit. Mit Brandenburg stehen wir in engem Kontakt und unterstützen die Ausweitung des ökologischen Landbaus, um so perspektivisch mehr biologische und regionale Produkte aus dem Nachbarland zu erhalten. Schon aus Klimaschutzgründen ist es wichtig, hier die Stadt-Land-Verknüpfungen auszubauen. Mit Blick auf den Tierschutz haben wir vor dem Bundesverfassungsgericht eine Klage gegen die Schweinehaltung in den großen Mastbetrieben eingereicht. Es geht also darum, Nachhaltigkeit und Regionalität vom Feld oder Stall bis auf den Teller zu ermöglichen. Das beschäftigt im Übrigen nicht nur die Politik und die Landwirtschaft, gerade in der Berliner Spitzengastronomie findet diese Idee regen Anklang.

Inwieweit wirkt sich das verstärkte Take-away-Geschäft/Lieferservices durch die Corona-Pandemie negativ auf den Aspekt der Abfallvermeidung aus?

Das Take-away-Geschäft ist hinsichtlich der Abfallproduktion sicherlich nicht das Beste. Was die Betriebsgastronomie angeht, so sind diese momentan ja geöffnet – auch wenn es Einschränkungen gibt.

Welchen Einfluss hat Covid-19 generell auf die Umsetzung der Strategie?

Wie in fast allen Bereichen, hat der Lockdown im Frühjahr auch hier Auswirkungen. So musste die „Kantine Zukunft“ als Reaktion auf diesen die Beratungen herunterfahren. Seit August laufen die Beratung jedoch wieder. Eine ganz andere Folge der Pandemie zeigte sich jedoch auch im Frühjahr. Die Menschen haben die Wochenmärkte wiederentdeckt. Sie haben regionale Produkte gekauft und frisch zubereitet, ganz im Sinne der Ernährungsstrategie.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Quelle: gastroinfoportal