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Özdemirs Ernährungsstrategie stößt berechtigterweise auf Widerspruch

Auf Widerspruch der Opposition, aber auch der FDP ist die Ernährungsstrategie der Bundesregierung „Gutes Essen für Deutschland“ (20/10001) gestoßen, die der Bundestag am Donnerstag, 11. April 2024, erstmals beraten hat. Die Vorlage wurde im Anschluss zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft überwiesen.

Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft will sich zu einem ersten Gespräch mit einigen Teilnehmern des Bürgerrates „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ (20/10300) treffen. Das beschloss das Gremium am Mittwochvormittag. Das Treffen soll Mittwoch, 24. April 2024, ab 9 Uhr stattfinden. Thema soll die Umsetzung der neun Empfehlungen des Rates sein. Dazu gehören unter anderem die Einführung eines kostenlosen Mittagessens für alle Kinder, ein staatliches Label zur Kennzeichnung von Lebensmitteln sowie eine verpflichtende Weitergabe von genießbaren Nahrungsmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel an Tafeln oder andere gemeinnützige Einrichtungen.

Die Wortmeldungen zum Thema im Bundestag:

CDU/CSU: Bevormundung statt Liberalität

Steffen Bilger (CDU/CSU) kritisierte das Timing des Ministers, dessen Strategie im Januar vorgelegt wurde, während der Bürgerrat seine Empfehlungen im März abgegeben hatte. Der Minister hätte diese Empfehlungen auch abwarten können, sagte der CDU-Abgeordnete. Im Januar sei es darum gegangen, mit der Strategie von den Bauernprotesten abzulenken. Von den Problemen der Landwirtschaft sei noch nichts substanziell gelöst, den Ankündigungen folgten keine Taten. Die Strategie zeige wenig Respekt vor den Länderkompetenzen und der Eigenverantwortung der Verbraucher und vermehre die Bürokratie.

Albert Stegemann (CDU/CSU) konnte die vom Minister verkündete Liberalität nicht identifizieren. Es gehe vielmehr um Bevormundung, man wolle weg vom Fleisch und vom Zucker. Die Gesellschaft werde in Gut und Böse gestaltet, nur die ökologische Landwirtschaft sei gut. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch von sieben auf 19 Prozent bezeichnete Stegemann als „nackte Steuererhöhung“. Der reduzierte Mehrwertsteuersatz auf Grundnahrungsmittel diene gerade dazu, dass sich auch Menschen mit schmalem Einkommen Fleisch leisten könnten. Özdemir wolle die Tierhaltung in Deutschland abschaffen, die Union wolle sie weiterentwickeln.

SPD: Mindesthaltbarkeitsdatum reformieren

Rita Hagl-Kehl (SPD) wies darauf hin, dass 70 bis 80 Prozent der Krankheiten in Deutschland ernährungsbedingt seien, 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen seien übergewichtig. „Wir wollen niemanden umerziehen oder bevormunden“, sagte die bayerische Abgeordnete, doch müsse der Staat die Eltern unterstützen. Seit Corona würden Kinder mehr Medien konsumieren und sich weniger bewegen. Auch werde ein Fünftel der Kohlendioxidemissionen in Deutschland von der Nahrungsmittelerzeugung verursacht. Hagl-Kehl forderte ein Nachhaltigkeitslabel und erinnerte daran, dass 54 Prozent der Lebensmittelverschwendung in Privathaushalten stattfinde. Das Mindesthaltbarkeitsdatum müsse dringend reformiert werden.

Dass sich die Ernährung auch auf die kognitiven Fähigkeiten auswirkt, betonte Peggy Schierenbeck (SPD). Der Zugang zu gesundem Essen sei eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Von der Kita an sollte auf pflanzliche Ernährung gesetzt und der Anteil von Zucker, Salz und ungesunden Fetten verringert werden. Die Ernährungsstrategie stütze sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse: Einmal Fleisch pro Woche reiche aus. Gesundes und nachhaltiges Essen sollte zu zwei Dritteln aus pflanzlichen und einem Drittel aus tierischen Lebensmitteln bestehen.

FDP: Grüner ZeigefingerIngo Bodtke (FDP) kritisierte das Ampelprojekt heftig: „Ich sehe den grünen Zeigefinger!“ Dem Bürger solle vorgeschrieben werden, wie er sich zu ernähren habe. Der Verbrauch tierischer Lebensmittel solle auf ein „gesundheitsförderliches Maß“ gebracht werden. Das seien „völlig überzogene Erwartungen und Ansprüche“, so Bodtke. Die FDP wolle keine neuen staatlichen Verbote und Regulierungen. Vielmehr wolle man die Menschen motivieren, ihre Ernährungsgewohnheiten kritisch zu hinterfragen und setze dabei auf das Leitbild des mündigen Verbrauchers. Bodtke verwies darauf, dass 90 Prozent der Erzeuger klein- und mittelständische Betriebe seien und warb dafür, die Ernährungsstrategie zu überarbeiten.Bodtkes Fraktionskollege Dr. Gero Clemens Hocker wandte sich gegen pauschale Werbeverbote, deren Effekt marginal sei und die nicht den kritischen, hinterfragenden Konsumenten hervorbrächten. Hocker appellierte an die Eigenverantwortung der Verbraucher.

Grüne: An Kinder gerichtete Werbung einschränken

Dr. Julia Verlinden (Bündis 90/Die Grünen) forderte eine Anpassung des Wettbewerbsrechts im Lebensmittelbereich, was die Marktmacht der Discounter angehe. Es brauche eine Preisbeobachtungsstelle für Lebensmittel. Der Ernährungsbildung maß Verlinden einen hohen Wert zu. Auch müsse das Gesetz zur Einschränkung von an Kindern gerichtete Werbung „endlich kommen“. Bio-Verpflegung müsse gestärkt werden, die Ernährungsstrategie schlage konkrete Handlungsoptionen vor.

Fraktionskollegin Renate Künast sprach angesichts der FDP-Kritik von einer „ideologieorientierten Debatte“. Die FDP könne sich nicht über Fachkräftemangel beklagen, wenn sie nicht für die Gesundheit der Kinder sorge. Die Grünen wollten mit der Ernährungsstrategie Lebenschancen, eine gesunde Kindheit und ein gesundes Alter, ermöglichen.

AfD: Diktat statt StrategieAblehnend positionierte sich die AfD-Fraktion. Die Regierung trete in beispielloser Arroganz in die Privatsphäre der Menschen ein, argumentierte Peter Felser. Die Strategie sei auf Lenkung und Verbote ausgerichtet. Werbeverbote lehne die AfD ab, weil sie zu weiterer Bürokratisierung führen würden. Es gehe der Ampel um vermeintliche Klimaziele, nicht um die Gesundheit der Bürger. Einen Widerspruch sah Felser im Umgang mit den Bauern. Einerseits werde Regionalität gefordert, anderseits auf die regional verankerten Bauern eingedroschen. Die Bauernproteste seien der Ampel „völlig egal“. Lebensmittel müssten von außen importiert werden, „unsere Bauern gehen vor die Hunde“.

Felsers Fraktionskollege Bernd Schattner sagte, es handele sich nicht um eine Strategie, sondern um ein Diktat, das in Schulen und Kindergärten bindend umgesetzt werden müsse. Das Papier sei ein weiterer Sargnagel für die Geflügel-, Rinder- und Schweinewirtschaft in Deutschland.

Linke: Steigende Ernährungsarmut

Kritik äußerte auch Ina Latendorf (Gruppe Die Linke), die von einer „abgehobenen Politik“ sprach. Die Strategie sei eine Auflistung von Prüfaufträgen und zeitlich befristeten Vorhaben.

Sie verwies darauf, dass die Lebensmittelpreise von Juni 2021 bis Januar 2024 um knapp 30 Prozent gestiegen seien, die Zahlen der von Ernährungsarmut Betroffenen stiegen. Latendorf rief dazu auf, allen Kindern und Jugendlichen kostenfreies Essen zu garantieren.

( Deutscher Bundestag)