Politik & Wirtschaft

Ernährung im Wandel – Erneute Kontroverse im Deutschen Bundestag

Im Februar hatte der Bürgerrat seine Empfehlungen an Bundestagspräsidentin Bas und die Fraktionen im Bundestag übergeben. Zentrale Frage für den Bürgerrat: Was und wie viel sollte der Staat im Bereich Ernährung regeln?

Neun Handlungsempfehlungen:

  1. Kostenfreies Mittagessen für alle Kinder als Schlüssel für Bildungschancen und Gesundheit
  2. Bewusstes Einkaufen leicht gemacht durch ein verpflichtendes staatliches Label
  3. Verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den LEH
  4. Lebensbedingungen und Herkunft von Tieren transparent darstellen
  5. Fördern statt Fordern – neuer Steuerkurs für Lebensmittel
  6. Gesunde, ausgewogene und angepasste Gemeinschaftsverpflegung in Pflegeeinrichtungen
  7. Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls
  8. Altersgrenze für Energydrinks
  9. Mehr Personal für Lebensmittelkontrollen

Fünf Monate lang hatten 160 ausgeloste Teilnehmer in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, Ernährungsexperten und Fachpolitikern über eine Verbesserung der Ernährungspolitik beraten. Vergangenen Monat hatte das Gremium Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ein Gutachten mit neun Empfehlungen überreicht. An erster Stelle empfiehlt der Bürgerrat die Einführung eines kostenfreien und gesunden Mittagessens für alle Kinder in Schulen und Kitas. Der Bund solle dies gemeinsam mit den Ländern finanzieren. Bisher haben nur armutsgefährdete Kinder Anspruch auf ein kostenfreies Mittagessen.  Die Empfehlung für ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder an Kitas und Schulen. Diese hatte der Bürgerrat zu seiner obersten Priorität gemacht, in vollem Bewusstsein, dass diese Aufgabe eigentlich bei den Bundesländern liegt und nicht beim Bund. Die Umsetzung hielten die Bürgerinnen und Bürger aber für so wichtig, dass sie den Bundestag dazu auffordern wollten, in der Frage tätig zu werden.

Die Diskussion:

Grüne begrüßen direkte Bürgerbeteiligung

Für Leon Eckert (Bündnis 90/Die Grünen) stellt die Einsetzung von Bürgerräten nicht nur eine „Weiterentwicklung der Demokratie“ dar, sondern ermöglicht eine direkte Beteiligung von Bürgern bei gesellschaftspolitisch relevanten Fragen. „Eine selbstbewusste repräsentative Demokratie muss sich vor den Meinungen der Bürger nicht verstecken“, sagte Eckert.

Union warnt vor Auslagerung von Verantwortung

Dafür erntete er heftige Kritik von Philipp Amthor (CDU/CSU). Der Unionspolitiker machte grundsätzliche Kritik am Vorgehen der Ampel-Koalition zur Einsetzung des Bürgerrats deutlich. Er warnte vor einer Auslagerung von Verantwortung an Kommissionen und „herbeiquotierte Räte“ zulasten des Parlaments. 

Das sei eine gefährliche Tendenz, da das parlamentarische Regierungssystem aktuell „unter starkem Druck“ stehe. Anstatt Verantwortung und die Lösung von wichtigen Fragen an Bürgerräte zu delegieren, sei es die Aufgabe der Ausschüsse und des Plenums, Entscheidungen zu treffen.

FDP: Vorzüge der repräsentativen Demokratie herausstellen

Dr. Gero Hocker (FDP) schloss sich dem an. Die Einrichtung suggeriere, dass es im politischen Bereich einfache und schnelle Lösungen für komplizierte Sachverhalte geben könnte. Hocker rief dazu auf, die Vorzüge einer repräsentativen Demokratie herauszustellen. 

Die Arbeit der Parlamente sei oftmals zeitintensiv, aber sie sei gründlich und durch die Hinzuziehung von Fachleuten gekennzeichnet. „Lassen Sie uns das als selbstbewusste Parlamentarier zum Ausdruck bringen!“

SPD fordert zügige Umsetzung der Vorschläge

Von der SPD-Fraktion erhielten die Einsetzung des Bürgerrates und die von dem Gremium erarbeiteten Empfehlungen hingegen viel Ausspruch. Peggy Schierenbeck (SPD) forderte eine zügige Umsetzung der Vorschläge. Vor allem das kostenfreie Mittagessen in Kitas und Schulen sollten Bund und Länder angehen. Es sei richtig, dass die Zuständigkeit dafür bei den Ländern liege, jedoch sollte es gelingen, bei dieser Frage eine gemeinsame Lösung zu finden. 

Marianne Schieder (ebenfalls SPD) forderte ihre Kollegen im Plenum auf, „die Arbeit der Bürger im Bürgerrat ernst zu nehmen und umzusetzen“. Die Empfehlungen seien „Abschluss und Auftrag zugleich“, das neue Instrument der Bürgerbeteiligung habe sich als erfolgreich erwiesen, das zeige das „gute und gelungene Bürgergutachten“, das der Politik nun vorliegt.

AfD will mehr direkte Beteiligungsformate

Für Peter Felser (AfD) ist der Bürgerrat nicht das richtige Instrument zu mehr Beteiligung der Bürger, er plädierte für mehr direkte Beteiligungsformate. Zudem werde mit der Einsetzung des Bürgerrates suggeriert, die Empfehlungen würden auch umgesetzt. Dabei seien etliche im Bürgerrat diskutierten Fragen „längst Gegenstand jahrelanger Debatten“. 

Ein kostenfreies Mittagessen an Schulen sei zwar „eine gute Sache“, aber der Bundestag sei nicht verantwortlich. Zudem stelle sich die Frage: „Wer bezahlt das, und ist das gerecht?“ Die Verbrauchsabgabe für mehr Tierwohl wiederum würde Fleisch weiter verteuern. „Wollen wir wirklich, dass Fleisch zum Luxusgut wird?“, so Felser.

Fraktionslose zweifeln an Umsetzung der Vorschläge

Amira Mohamed Ali (Gruppe BSW) hält die Vorschläge des Bürgerrates für „sehr vernünftig“, vor allem das kostenfreie Mittagessen in Schulen. Sie habe jedoch Zweifel, ob es zur Umsetzung der Empfehlungen komme. „Es ist Fakt, dass Menschen mit wenig Geld sich eine gesunde und ausgewogene Ernährung nicht leisten können“, sagte sie. Zehn Millionen Menschen in Deutschland könnten sich derzeit „bestenfalls jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten“. Nach Ansicht Mohamed Alis verteuere die Politik der Ampelregierung die Lebensmittel weiter, „das ist in diesen Zeiten ein Skandal“, sagte sie.

Ina Latendorf (Gruppe Die Linke) erinnerte daran, dass etliche Fragen, die im Bürgerrat diskutiert wurden, „seit Jahren Gegenstand linker Politik sind“. Bereits vor zwölf Jahren habe es den ersten Antrag für die Einführung eines kostenfreien Mittagessens an Schulen gegeben, „dieser und alle weiteren Anträge dazu wurden abgelehnt“, sagte Latendorf.

Quelle Deutscher Bundestag: (nki/14.03.2024)

Nach der Aussprache – 14.3.2024 – betont Präsidentin Bärbel Bas: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 20/10300 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keine anderen Überweisungsvorschläge. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen.

Die Vorschläge des Bürgerrats sind somit für das Parlament nicht bindend, sie sollen aber von den Abgeordneten umfassend diskutiert werden. Nach der Debatte im Plenum soll dies nun in den Fachausschüssen geschehen.